Vergiss Marathonlaufen oder Eisbaden! Wer sich wirklich herausfordern will, dem empfehle ich das US-Ausbürgerungsverfahren.
28.12.2025, 13:1628.12.2025, 13:16
Land of the free, home of the brave. 2025 haben diese Worte bereits einen ironischen Beigeschmack. Das land of opportunity verfällt zunehmend zum land of opportunism. Nach 32 Jahren US-Staatsbürgerschaft habe ich persönlich genug.
Mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump und der rasanten Zerstörung der amerikanischen Demokratie, die damit einhergeht, haben sich bei mir alle auch schon zuvor eher kleinen Ambitionen, jemals noch in den USA zu leben, in Luft aufgelöst. Auch das Privileg, dass mich im Fall einer Geiselnahme ein Team von US Navy Seals befreit, gebe ich dafür gerne auf.
Entfacht in mir irgendwie keinen Nationalstolz: Maskierte ICE-Agenten halten einen Mann nach einer Anhörung vor dem Einwanderungsgericht fest.Bild: keystone
Was schon lange in mir brodelte, wurde mit einem Cocktail aus aktiver Wissenschaftszensur, Kennedy als Gesundheitsminister, dem DOGE-Spektakel, den ICE-Raids und so vielem mehr, zum festen Entschluss. Ich will nicht mehr Teil von diesem Land sein.
Aber einfacher gesagt, als getan.
Es folgt eine nicht ganz so ernste Schilderung eines Tollpatschs, der durch die US-amerikanische Bürokratiemühle gemahlen wird.
Venn-Diagramm: Leute, auf die du in Sachen Ausbürgerung hören solltest:
Leider keine Loopholes
Mein erster Gedanke: Gibt es denn nicht irgendein Schlupfloch? Kann ich nicht vielleicht «zwangs-entbürgert» werden, wenn ich vor der Botschaft eine US-Flagge zerreisse, den Präsidenten beschimpfe oder mir ein Auto mit niedrigem Benzinverbrauch kaufe? Leider bin ich in dieser Hinsicht nicht fündig geworden (wer etwas anderes weiss, bitte gerne in die Kommentare schreiben).
Kein Entkommen: Die Steuerpflicht
Wer US-Staatsbürger ist, wird auch von den USA besteuert auch wenn er in einem anderen Land wohnt und dort bereits Steuern zahlt. Das klingt zwar aussergewöhnlich, die USA sind damit aber nicht allein. Hier eine Liste von Ländern, die dies ebenso handhaben:
Die Schweiz hat verschiedene Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA, sodass man bis zu einem gewissen Einkommen steuerbefreit sein sollte. Die US-Steuererklärung muss man jedoch trotzdem jedes Jahr ausfüllen. Viele US-Expats sind sich dieser Pflicht nicht bewusst und füllen nie eine Steuererklärung aus. Auch ich gehörte zu dieser Gruppe.
Menschen, welche die Staatsbürgerschaft ablegen wollen, wird empfohlen, ihrer Steuerpflicht zu regeln, denn die Pass-Abgabe kann von den USA auch verweigert werden. Zum Beispiel, wenn der Verdacht besteht, dass man den Pass nur abgeben will, um seiner Steuerpflicht zu entgehen.
«… of my own free will, free of any duress or undue influence.»
Auszug aus dem «Oath of Renunciation»
Für Leute, die noch nie eine US-Steuererklärung eingereicht haben, gibt es das sogenannte «Streamlining»-Verfahren. Eine Art straflose Selbstanzeige, bei der man die Steuererklärung für die letzten fünf Jahre nachholt.
Anders als die Schweizer Steuererklärung lässt sich die US-Steuererklärung aber nicht mit zwei Tassen Kaffee an einem Vormittag erledigen. Die meisten Expats nutzen dafür spezialisierte Unternehmen. Auch wenn sie – wie in meinem Fall – nur ein junger Festangestellter ohne Hab und Gut sind.
Der Wahnsinn beginnt: Die Steuererklärung
Ich melde mich also bei einer solchen Steuer-Firma in Zürich und wähle bewusst eine, die ihr Büro nicht an der Bahnhofstrasse hat. Nach einigem hin und her kommt ein paar Wochen später endlich ein konkreter Betrag, was das «Streamlining» kosten würde: 8000 Schweizer Franken.
Ich schaue, ob es vielleicht auch in Spreitenbach so eine Firma gibt. Leider Nein.
Schliesslich lande ich bei einer internationalen Firma, die eine Software anbietet, mit der man die Steuererklärung ähnlich wie bei uns online ausfüllen kann. Und das für laue 749 Euro. Hallo, Schnäppchenalarm?
Wenn du diesen Weg wählst, solltest du dich auf folgende Kuriositäten gefasst machen: Wer mehr als eine Einkommensquelle hat, muss für jedes seiner Einkommen angeben, wie viel Steuern er in der Schweiz darauf bezahlt hat. Bereite dich also geistig darauf vor, mittels Excel-Tabellen und dubiosen Dreisätzen die prozentualen Steueranteile für jedes dieser Einkommen zu ermitteln.
Anders als die Schweizer Behörde, will die Bundessteuerbehörde der Vereinigten Staaten IRS bei deinen Konten nicht den Betrag am Ende jedes Kalenderjahres wissen, sondern den Höchstbetrag, den das Konto in diesem Jahr einmal aufwies.
Es folgt ein deprimierendes Durchforsten meiner mickrigen Finanzen.
Nachdem ich in meinem E-Banking sämtliche Transaktionen exportiert und in Excel nach verbleibendem Kontostand sortiert habe, weiss ich: Ich kann anscheinend sehr schlecht mit Geld umgehen.
Irgendwann glaube ich endlich alles korrekt ausgefüllt zu haben. Die Angaben werden nun noch von einem «Tax Professional» der Firma geprüft. Dieser teilt mir mit, ich müsse auch noch meine Pensionskasse angeben.
Hier muss ich kurz ausführen: Wenn ich meine Steuererklärung bis zum 15. Juni 2025 einreiche, qualifiziere ich mich anscheinend noch für einen «Covid-Stimulus». Also eine Hilfszahlung, welche die US-Regierung während der Pandemie an jeden Bürger leistete. Da es sich um über 1000 US-Dollar handelt, hätte ich nichts dagegen, die Steuererklärung innert dieser Frist einzureichen.
Ich gebe also nach bestem Wissen und Gewissen meine Pensionskasse und mein nach einer Einzahlung vergessenes, in zu viel Optimismus erstelltes Säule-3a-Konto an. Genau das macht meinen «Tax Professional» aber stutzig. Was ist denn bitte eine 3. Säule? Ich werde gebeten, noch ein weiteres Formular einzureichen und dafür auch noch einmal 200 Euro zu bezahlen.
Mein Bruder, der das gleiche Vorhaben wie ich verfolgt, hatte dieses Formular nicht benötigt. Ich versuche, das dieser Person zu kommunizieren und zu erklären, was genau eine 3. Säule ist. Was gibt es Schöneres, als an einem sonnigen Sonntagnachmittag eine ausführliche E-Mail über unser Vorsorgesystem zu schreiben? Die Kommunikation mit dem «Tax Professional» findet dabei durch – um jeweils etwa zwei Tage verzögerte – E-Mail-Antworten statt. Die Deadline für den «Covid Stimulus» rückt immer näher.
Schliesslich scheint doch alles in Ordnung zu sein und ich bekomme die definitive Steuererklärung ausgespuckt. Anders als in der provisorischen Berechnung, die ich zuerst erhalten hatte, schulde ich den USA für das Jahr 2023 plötzlich 1079 US-Dollar Steuern.
Da ich keine Ahnung vom amerikanischen Steuersystem habe, kann ich unmöglich einschätzen, ob dies Sinn ergibt. Im Jahr 2023 habe ich von allen angegebenen Jahren am wenigsten verdient. Zudem befinde ich mich ohnehin weit unter der Steuerfreigrenze, die bei einem jährlichen Einkommen von etwa 120’000 US-Dollar liegt. Anderseits muss so ein Ballsaal halt auch irgendwie finanziert werden.
Ich habe also die Wahl: Entweder die Steuererklärung so einreichen und dafür eventuell den «Covid Stimulus» erhalten. Oder mit zwei Tagen verzögerten E-Mail-Antworten herausfinden, ob meine Steuererklärung fehlerhaft ist, oder ob alles korrekt ist und ich die Genialität des US-Steuersystems halt einfach nicht kapiere.
Ich entscheide mich für die erste Variante und mache mich auf zum Copyshop, um den ganzen Wälzer auszudrucken. Ja, ausdrucken, nix mit online einreichen. Für das «Streamlining» muss ich meine über 200 Seiten ausdrucken und eingeschrieben nach Texas schicken. Aber der erste Meilenstein ist damit geschafft.
Jetzt wird’s ernst: Die Ausbürgerung
Für die eigentliche Ausbürgerung meldet man sich online bei der US-Botschaft in Bern an.
Ich erhalte von der Botschaft einen Fragebogen per Mail, in dem ich ausführen muss, weshalb ich die Staatsbürgerschaft abgeben will. Ich verkneife es mir, irgendwelche politischen Gründe anzugeben. Stattdessen erkläre ich, dass die USA und ich uns halt einfach auseinandergelebt hätten und ich jetzt glücklich mit der Schweiz zusammen sei.
Renunciation of U.S. citizenship is a serious and irrevocable act, which deserves your thoughtful consideration.
In all diesen Schreiben wird mir immer wieder sehr fest mitgeteilt, wie gravierend der Entscheid der Ausbürgerung sei. Es fallen Wörter wie: «ernst», «unwiderruflich» und «bedarf reiflicher Überlegung». Begriffe, die ich eher für das Geschehen im Weissen Haus passend fände. Dass ich mich insgeheim etwas darauf freue, ausgebürgert zu werden, scheint für die US-Behörden unvorstellbar.
Amerikanische Eigenheiten: Besuch auf der Botschaft
Schliesslich bekomme ich einen Termin bei der Botschaft in Bern, um den Pass endgültig abzugeben. Als ich mit Schweizer Pünktlichkeit (eine Viertelstunde zu früh) vor der Botschaft stehe und die US-Flagge wehen sehe, überkommt mich zu meiner grossen Überraschung doch ein etwas seltsames Gefühl. So wenig ich mich mit den USA identifizieren kann, hat dieses Land halt trotzdem von klein auf ein Stück weit zu meiner Identität gehört.
Die US-Botschaft in Bern.Bild: KEYSTONE
Nachdem ich die minuziöse Sicherheitskontrolle mit Metalldetektor, Gepäckröntgenmaschine und Sprengstofftest passiert habe, stehe ich in einem Raum mit mehreren Schaltern. Spätestens hier legt sich meine Wehmut ziemlich schnell.
Das Mugshot-Präsidentenportrait von Donald Trump starrt mir von der Wand entgegen. Daneben das Gesicht von Vizepräsident J.D. Vance, bei dem ich nur an die «Rare Vances»-Memes denken kann, und Aussenminister Marco Rubio. Ihn mag ich auch nicht besonders.
Ungefähr so wird man in der Botschaft empfangen. (Bildmontage)
Vor mir steht ein Drucker, angeschrieben mit «US-Letter only». Natürlich haben die USA ihr eigenes Papierformat.
Länder, welche das ISO A4-Format verwenden, in blau. US-Letter in rot.Bild: Wikipedia
Genau wie die mühsamen imperialen Masseinheiten an denen die USA stur festhält. Selbst wenn es die ganzen politischen Umstände aktuell nicht gäbe, muss ich mir eingestehen, dass ich mich auch in diesen kleinen Dingen schon immer etwas fremdgeschämt habe.
Ein junger Mann ruft mich schliesslich auf und bittet mich am Schalter nochmal wörtlich zu begründen, weshalb ich meinen Pass abgeben will. Dieses Gespräch ist zum Glück ziemlich entspannt und eher eine Formalität. Auch den «Oath of Renunciation», also die Verzichtserklärung, muss ich zum Glück nicht mehr wie früher mit einer Hand auf der Bibel laut vorlesen. Es reicht, dass ich den Schwur für mich still lese und unterschreibe.
I desire and hereby make a formal renunciation of my U.S. nationality, as provided by section 349(a)(5) of the Immigration and Nationality Act of 1952, as amended, and pursuant thereto, I hereby absolutely and entirely renounce my United States nationality together with all rights and privileges and all duties and allegiance and fidelity thereunto pertaining. I make this renunciation intentionally, voluntarily, and of my own free will, free of any duress or undue influence.
Der «Oath of Renunciation».
Somit muss ich nur noch bezahlen und ich bin fertig. Moment, was bezahlen?
Natürlich kann man eine solche Staatsbürgerschaft nicht einfach gratis abgeben. Das Privileg, nicht mehr US-Bürger zu sein, kostet mich weitere 2350 US-Dollar. Immerhin hat Donald zuvor den Dollar-Kurs schon ordentlich in den Keller getrieben. Trotzdem hoffe ich nochmals etwas mehr auf den «Covid-Stimulus».
Das Privileg, nicht mehr US-Bürger zu sein, kostet mich weitere 2350 US-Dollar.
Das Geld. Die Dame am SBB-Geldwechselschalter hat mich verwirrt angeschaut, als ich fragte, ob sie das Geld wie in den Filmen auch in den geilen dicken Bündelchen hätte. Hatten sie nicht. Schade.bild: michael shepherd
Ich bekomme eine unverhältnismässig mickrige Papierquittung in die Hand gedrückt. Dann kann ich gehen.
So ganz ganz gaaanz offiziell bin ich nämlich erst ausgebürgert, wenn ich das «Certificate of Loss of Nationality» zugeschickt bekomme. Was noch einmal ein paar Monate dauern kann.
Die Nachwehen
Einige Wochen später trifft Post bei mir ein. Ein schlichtes Couvert und darin mehr oder weniger kommentarlos ein Scheck für den «Covid-Stimulus». Nun gilt es, herauszufinden, wo ich einen solchen Scheck überhaupt einlösen kann. Wie ich vernahm, ist dies nur noch bei der UBS möglich, allerdings ausschliesslich für Kunden.
Ich mache mich also auf, ein UBS Konto zu eröffnen, was jetzt, wo ich nicht mehr US-Bürger bin, wesentlich einfacher sein sollte. Natürlich geht bei der Kontoeröffnung online alles schief. Ich muss persönlich im Marmor-Tempel an der Bahnhofstrasse erscheinen und mich einmal mehr ziemlich fehl am Platz fühlen, weil ich ja eigentlich nicht UBS-Kunde sein, sondern nur diesen Covid-Scheck einlösen möchte.
Ich mache mich also auf, ein UBS Konto zu eröffnen, was jetzt, wo ich nicht mehr US-Bürger bin, wesentlich einfacher sein sollte.
Ein sehr freundlicher Lehrling und seine Begleitperson erzählen mir von ihren Hobbys und führen mich 20 Minuten lang auf Englisch durch die Kontoeröffnung. Ja, ich sozial unfähiger Idiot habe es natürlich nicht geschafft, nach der englischen Begrüssung aufgrund meines Nachnamens rechtzeitig zu erwähnen, dass ich Schweizerdeutsch spreche. Irgendwann war es zu spät und ich habe sogar meine Adresse mit amerikanischem Akzent angegeben. What the fuck is wrong with me?
Mein Gesicht währen dem gesamten Gespräch:
Liebe UBS-Mitarbeitende, falls ihr das lest: Es tut mir sehr leid.
Die Abschiedsrechnung
Etwas später erhalte ich zwei Briefe von der US-Steuerbehörde IRS. Es sind die Rechnungen für die zwei Jahre, in denen ich den USA – aus mir noch immer nicht erklärlichen Gründen – Steuern schulde. Einmal 1178 und einmal 79 US-Dollar. Dafür aber mit einer grosszügigen Zahlungsfrist von 4 Tagen.
Ich versuche also der IRS per Kreditkarte meine Steuerschuld zu überweisen, worauf umgehend meine Karte gesperrt wird. Beim zweiten Versuch klappt es dann aber.
Ich werde nun, so hoffe ich, nie wieder etwas mit der IRS zu tun haben. Es ist geschafft. Und mein Kopf fühlt sich an, wie die Zähne 5 Minuten nach der Dentalhygiene. Ein tolles Gefühl.
Fazit
Meine Kosten:
- Streamlining: 749 Euro -> 724 Schweizer Franken
- Ausdruck Copyshop: 18 Schweizer Franken
- DHL Versand Steuererklärung: 2x 69.50 Schweizer Franken
(Das erste online gekaufte Versandetikett hat am Service Point nicht funktioniert, worauf ich nochmals bezahlen musste. Die Rückerstattung ist bis jetzt nicht erfolgt) - Steuern: 1257.96 US-Dollar -> 1022.70 Schweizer Franken
- Ausbürgerungsgebühr: 2350.- US-Dollar -> 1976.60 Schweizer Franken
- Covid-Stimulus: -1256 US-Dollar -> -994 Schweizer Franken
Gesamtkosten: 2’885 Schweizer Franken
Das Gefühl, nicht mehr US-Bürger zu sein: unbezahlbar.
Schlussbewertung:
- Finanzielle Schikane: 3/5
- In-ein-Kopfkissen-Schrei-Potential: 5/5
- Gefühl der richtigen Freiheit: 5/5
Die Ausbürgerung aus den USA ist teuer, verwirrend und mühsam. Bürger eines Landes zu sein, das von einem mehrfach verurteilten Straftäter, Sexisten und Megaloman und seinen teilweise noch zwielichtigeren Handlangern regiert wird und zudem noch gerade aktiv seine Demokratie abschafft, ist mühsamer. Ich kann es allen empfehlen.