In einem Brüsseler AfD-Büro sitzt ein Duo, das ganz im Sinne des Kreml agiert. Es arbeitet seit Jahren daran, die Partei nach Moskau auszurichten – und gegen die EU. Selbst Parteikollegen fürchten ein Sicherheitsrisiko.
20.12.2025, 09:3320.12.2025, 09:33
Annika Leister, Jonas Mueller-Töwe / t-online
Die Türen sind geschlossen, die Stimmung ist aufgeheizt. In einem AfD-Gremium streitet man über die Ukraine und Russland, über das Verhältnis der Partei zum Kriegstreiber Putin. Die Runde ist klein, sie tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei fallen plötzlich Sätze, die viele in der Runde hellhörig machen.
Der deutsche AfD Politiker, Björn Höcke.Bild: keystone
Besonders der Europaabgeordnete Hans Neuhoff redet sich in Rage. Es sei nicht wahr, dass Russland in der Ukraine auf Zivilisten schiesse und zivile Ziele bombardiere. Um «reine Propaganda» handele es sich bei entsprechenden Berichten. So berichten es später Teilnehmer übereinstimmend.
Dann spricht Neuhoff etwas aus, das so spektakulär ist, dass es die Runde verblüfft: Er selbst verfüge über «Informationen aus Geheimdienstkreisen, die sehr zuverlässig sind».
Ist das Aufschneiderei? Ein Satz, lediglich dahergesagt, um Kritiker zum Schweigen zu bringen? Oder ist da etwas dran? Hat der Europaabgeordnete, ein Musikprofessor aus dem beschaulichen Bonn, tatsächlich Kontakte zu Geheimdiensten? Und wenn ja: zu welchen?
Seit Langem kursieren in der AfD Gerüchte über «den Professor» und sein Brüsseler Büro. Es herrscht Misstrauen, wohin sie die Partei treiben wollen. Der Verdacht: Neuhoff und seine Mitstreiter agierten im Schulterschluss mit Putins Russland, das die Ukraine überfallen hat und mit Hackern und Wegwerfagenten auch Deutschland angreift.
Der deutsche AfD-Politiker, Hans Neuhoff.Bild: www.imago-images.de
Recherchen von t-online und «Focus» zeigen nun: Neuhoff kommt eine Schlüsselrolle dabei zu, die Partei programmatisch gen Moskau auszurichten. Der Pro-Putin-Haltung vieler seiner Parteikollegen hat er ein breites theoretisches Dach gebaut. Seit seinem Einzug ins EU-Parlament hält Neuhoff eine Rede nach der anderen zum immer selben Thema: das Verhältnis zu Russland und zum Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig trifft er russische Offizielle.
Begleitet wird er von seinem Assistenten Sergej Erler, einem Mann aus dem Militär, der ebenfalls seit Langem daran arbeitet, die Aussen- und Sicherheitspolitik der Partei zu prägen. Selbst viele in der Partei halten ihn aufgrund seiner Russlandkontakte für verdächtig. Den «Kreml-Flüsterer», so nennen sie ihn. Er selbst streitet auf Anfrage aktuelle Kontakte zu russischen Offiziellen kategorisch ab.
Der Theoretiker Neuhoff und der Praktiker Erler: Es ist ein schlagkräftiges Duo, ganz in Putins Sinne. Und, so sehen es Parteikollegen: ein erhebliches Sicherheitsrisiko nicht nur für die AfD, sondern womöglich auch für Deutschland.
1. Der Assistent
Es ist das Jahr 2015. Die Russen haben mit Spezialkräften die ukrainische Krim besetzt und orchestrieren einen Aufstand in den Ost-Gebieten des Landes. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die OSZE, soll den verhandelten Waffenstillstand an der Front im Osten überwachen. Da trifft ein Mann im Auftrag des Auswärtigen Amts mit deutschem Diplomatenpass in Luhansk ein, der für die Mission wie gemacht erscheint: Sergej Erler.
Doch Sergej Erler hatte bereits damals Sympathien für Russland. (Symbolbild)Bild: keystone
Der deutsche Soldat, damals Mitte 30, mit kurz geschorenem, bereits grau meliertem Haar, bringt Erfahrung in internationalen Friedenseinsätzen mit. Für die Bundeswehr war er in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Afghanistan. Er hat Bundespolizisten im Umgang mit unkonventionellen Sprengvorrichtungen ausgebildet. Bis zum Major hat er es gebracht. Nach der Offizierslaufbahn hat er an der Elitenschmiede des russischen Aussenministeriums in Moskau MGIMO studiert, an der die Geheimdienste des Kremls gern rekrutieren. Russisch ist seine Muttersprache, er ist dort geboren.
Ein Glücksfall also, so scheint es. Alle Neuen müssen zunächst auf Patrouille. Und der deutsche Soldat macht sich dabei derart gut, dass Vorgesetzte ihn zum Liaison Incident and Response Officer (LIRO) machen. Von da hält er für das OSZE-Team in Luhansk den Kontakt zu den Aufständischen. Und auch das macht er «exzellent», wie jemand aus der Mission sagt.
Doch die Sache hat einen Haken. Sergej Erler ist AfD-Mitglied und hält mit seinen Sympathien für Russland nicht hinterm Berg.
Es ist ein gefährliches Arbeitsumfeld, durch Russland bedroht von aussen wie innen. Missionsangehörige werden bespitzelt und entführt. Sicherheitslecks können hier Leben kosten. Zugleich hat auch Russland Mitarbeiter in die Mission entsandt, bei denen oft der Verdacht naheliegt: Sie arbeiten für den russischen Geheimdienst, nicht an der Mission der OSZE.
Während viele Team-Mitglieder damals die Russen meiden, sie gar als «furchteinflössend» empfinden, hat Sergej Erler keine Berührungsängste. Und zunehmend festigt sich im Team der Eindruck, dass seine Rolle als Liaison-Offizier, die unbedingte Unparteilichkeit erfordert, in Konflikt gerät mit seinen privaten politischen Ansichten.
Bis heute halten sich Gerüchte unter den ehemaligen OSZE-Mitarbeitern: Dass Erler regelmässig in den Abendstunden mit den russischen Offizieren loszog. Von geselligen Trinkabenden mit wichtigen Freischärlern ist die Rede. Von Saunabesuchen im Hotel «Druzhba» in Luhansk, das von Verantwortlichen der Mission als «tabu», als Sicherheitsrisiko, eingestuft wurde.
Den Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen konnten t-online und «Focus» letztlich nicht aufklären. Sergej Erler schreibt auf Anfrage, die Sauna «Lanzelot» – direkt am Hotel gelegen – sei anders als das Hotel selbst nicht «tabu» gewesen. Aufständische habe er nur in offizieller Funktion getroffen. Sein Kontakt zu russischen OSZE-Offizieren sei der gleiche gewesen wie zu anderen Mitarbeitern auch. Gerüchte über ihre Geheimdienstzugehörigkeit kommentiere er nicht. Er habe dazu keine Erkenntnisse.
OSZE-Beobachter in Luhansk: Im Team wurden Zweifel an Erler laut.Bild: Imago
Sicher ist, dass Sergej Erler 2018 in den Innendienst versetzt wird. Mehrere ehemalige OSZE-Mitarbeiter sagten t-online, das sei aus Sicherheitsgründen geschehen. Man habe aufgrund seiner Ansichten befürchtet, dass er nicht unparteilich sei. Gleichzeitig beschrieben mehrere Mitarbeiter seine fachliche Arbeit als «sehr gut», auch in seiner folgenden Position als Operationsoffizier.
Erler selbst weist die Schilderungen deswegen auch entschieden zurück. Die nachfolgenden Posten seien «wesentlich verantwortungsvollere Aufgaben» gewesen als die des Liaison-Offiziers. Es sei ihm zum Schluss ein «weit überdurchschnittliches Dienstzeugnis» ausgestellt worden. Doch die Ukraine-Mission ist nicht die einzige Station in seiner Laufbahn, aus der Zweifel an seiner Person kolportiert werden.
Als er Mitte 2020 kurzzeitig zur Bundeswehr zurückkehrt, scheitert angeblich eine Sicherheitsüberprüfung, wie der SWR zuerst berichtete. Im Herbst 2022 ist sein Abstecher für das Auswärtige Amt zur EU-Beobachtungsmission in Georgien nach einem Monat wieder beendet. Aus dem Auswärtigen Amt heisst es dazu, die zuständigen Behörden hätten «unmittelbar reagiert» und Erlers Einsatz beendet, «nachdem klar wurde, dass Herr E. eine Sicherheitsüberprüfung nicht erfolgreich überstehen würde». Sergej Erler schreibt hingegen, seine Rückkehr nach Deutschland habe andere Gründe gehabt.
Zurück aus Georgien verbreitet sich über russische Propagandakanäle in sozialen Medien ein Video, das kurz, kryptisch und doch ausdrucksstark ist. Erler steht darin an der Treppe der U-Bahn-Haltestelle «Bundestag». Mit weisser Kreide malt er einen grossen Penis direkt unter das blaue Haltestellenschild. Er klatscht in die Hände, wirkt zufrieden, zeigt den Stinkefinger. Und sagt: Während andere nur redeten, mache er.
2. Der Professor und die Arbeit an der DNA
Sergej Erler geht in die Titanwirtschaft. Standort: Moskau. Dort soll er für ein deutsches Unternehmen ab 2023 die «Beziehungen zu staatlichen Institutionen» pflegen. Er reist viel, kommt herum. Wenn er in Deutschland ist, setzt er aber über Jahre eine Priorität, die viele überrascht: die Programmarbeit bei der AfD. Lange ist er im Landesfachausschuss für Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Berlin, hält Vorträge auch im Bundesfachausschuss.
Die Arbeit in diesen Gremien ist Schwarzbrotarbeit. Sie ist wichtig, sie bestimmt die DNA der Partei, aber sie ist nicht beliebt. Viele Funktionäre halten sie für Zeitverschwendung und nehmen nicht teil, stattdessen kommen oft Rentner und Nerds. Gut lassen sich deswegen aber auch programmatische Stellschrauben stellen. Ein halbwegs schlüssiger Antrag wird in der Regel durchgewinkt.
2021 lernt Erler so Hans Neuhoff kennen. Neuhoff gilt als gebildet, aber arrogant, nicht leicht im Umgang. In der Partei spotten sie über ihn als «Professor für afrikanische Trommelmusik», denn Neuhoff ist damals noch Professor an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz. Auch er bringt sich seit Jahren auf Landes- wie Bundesebene in den Programmgremien ein.
Jahrelang wirken Neuhoff und Sergej Erler so im Hintergrund und im Detail nicht nachvollziehbar auf das Programm der AfD. Erler allerdings brüstet sich mit seinem Einfluss: Er habe am «aussen- und sicherheitspolitischen Teil aller Bundestags- und Europawahlprogramme mitgearbeitet», schreibt er in einem Dokument, das t-online und «Focus» vorliegt. «Einige» seiner Thesen seien in das Programm eingegangen.
2022 tritt zumindest Neuhoff, der Professor, aus dem Hintergrund auf die grosse Bühne. Es wird ein Paukenschlag werden.
3. Kampfansage an den liberalen Westen
Es ist das Jahr, in dem Russland die Ukraine überfällt. Nur vier Monate nach der Vollinvasion will Neuhoff der AfD auf einem Parteitag im sächsischen Riesa mit einer Resolution seinen Stempel aufdrücken. Sie trägt den Titel «Europa neu denken». Massgeblich verfasst hat sie Neuhoff, doch er hat einen mächtigen Mitstreiter: den Thüringer Landeschef Björn Höcke.
Der ehemalige AfD-Chef Alexander Gauland.Bild: keystone
Die beiden erarbeiten die Resolution massgeblich. Erst danach zeichnen andere Prominente aus der Partei das Papier – darunter der langjährige AfD-Chef Alexander Gauland, Russlandfreunde wie Maximilian Krah und Rainer Rothfuss sowie Landeschefs aus Ost wie West: Jörg Urban aus Sachsen, Martin Reichardt aus Sachsen-Anhalt, Martin Vincentz aus Nordrhein-Westfalen.
Es soll ein mächtiger Aufschlag sein, der die AfD programmatisch neu ausrichten soll. Weg von der simplen «Dexit»-Forderung, also dem Ruf nach dem Austritt Deutschlands aus der EU. Viele, vor allem Russlandfreunde wie Rechtsextreme, waren damit unzufrieden.
Was Neuhoff und Höcke entwerfen, ist allerdings noch weit radikaler: Sie wollen nicht mehr nur aus der EU austreten, sondern fordern gleich ihre «Auflösung». Das EU-Parlament, der Euro-Währungsraum, die gesamte EU-Gesetzgebung – sie sollen weg, fordert die Resolution.
Keine andere rechte Partei in Europa vertritt diese Position in dieser Härte, zumindest keine von Bedeutung. Das hat seine Gründe: Es bedeutet den Bruch mit der westlichen Nachkriegsordnung. Und ein unberechenbares wirtschaftliches Risiko.
Es ist zugleich eine Vision von Europa, die die vollste Zustimmung des Kremls finden dürfte. Eine Kampfansage an den liberalen Westen.
In der neuen europäischen «Wirtschafts- und Interessengemeinschaft», die Neuhoff und Höcke statt der EU vorschwebt, sind drei Begriffe zentral: die «multipolare Weltordnung» – und sogenannte «Grossräume» als Gegensatz zum «Universalismus».
Das letztere Begriffspaar geht im Kern auf Theorien des antiliberalen Staatsrechtlers Carl Schmitt zurück, der zum «Kronjuristen» des Nationalsozialismus wurde. Seine Sicht hat bei Ideologen und Autokraten weltweit glühende Anhänger gefunden: in der AfD ebenso wie im Umkreis des Kremls, in Xi Jinpings Machtapparat und in Donald Trumps Regierung.
Der Chinesische Präsident Xi Jinping.Bild: keystone
Die Welt ist bei Schmitt in «Grossräume» aufgeteilt, in denen Hegemonialmächte nach ihren eigenen Regeln verfahren können. Eine Rechtsordnung ist nachgeordnet, die politische Macht entscheidet.
Putin folgt dieser Logik nicht nur mit dem Ukraine-Krieg, Trump mit seiner «America first»-Politik. «Deutschland zuerst», rufen inzwischen AfD-Politiker ganz ähnlich bei Veranstaltungen.
2022 aber regiert Trump gerade nicht. Neuhoffs und Höckes Wunschpartner für ihr neues Europa ist deswegen recht eindeutig: Russland. «Ausgleich mit Russland» ist ein Absatz benannt, in dem die Kooperation mit der «Eurasischen Wirtschaftszone» gefordert wird. Die Ukraine? In Neuhoffs Vision lediglich ein «blockfreier und neutraler Brückenstaat». Putins völkerrechtswidriger Krieg gegen das Land wird nicht einmal als solcher benannt. Stattdessen ist vom «Ukraine-Konflikt» die Rede.
4. Höckes Wut-Rede, Neuhoffs Scheitern
Als die Resolution in Riesa vorgestellt werden soll, ist Neuhoff nicht an seinem Platz. Stattdessen tritt Björn Höcke ans Mikrofon. Unvorbereitet redet er sich rasch in Fahrt: Die EU müsse überwunden werden, sagt er, sie sei das «Anti-Europa», eine «Globalisierungsinstanz». Sie sei zerfressen von Dekadenz und raube, «was wir lieben und wofür wir leben»: geschlechtliche wie kulturelle Identität, «unser Menschsein».
Doch Höcke und Neuhoff haben sich verzettelt. Noch ist die AfD nicht so weit. Zu frisch ist der Eindruck des Kriegs, den Russland entfesselt hat – und zu gross die Sorge, vor allem bei Funktionären aus dem Westen, dass die Resolution sie unwählbar macht.
«Inakzeptabel», rufen Gegner an den Saalmikrofonen mit Blick auf die Russlandnähe. Oder: «Keine andere rechte Partei in Europa fordert das!», mit Blick auf die Auflösung der EU.
Schliesslich zieht man die Reissleine: Die Abstimmung wird vertagt, der Parteitag im Chaos beendet.
5. Der späte Triumph
Doch für Neuhoffs Ideen ist Riesa nicht das Ende, sondern erst das Sprungbrett – und ebenso für seine Parteikarriere in der ersten Reihe. 2023 versammelt sich die AfD erneut, dieses Mal in Magdeburg. An zwei Wochenenden bestimmt sie erst ihre Kandidaten, dann das Programm für die so wichtige Europawahl im kommenden Jahr. Auf beiden Feldern spielt Neuhoff eine wichtige Rolle.
Höcke strebe stattdessen eine «neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft» anBild: keystone
Der Entwurf für den Leitantrag für das EU-Wahlprogramm der AfD macht schon Wochen vor dem Parteitag Schlagzeilen. Dort nämlich ist wieder von der «Auflösung der EU» die Rede. Erstellt wurde er von der Bundesprogrammkommission, der BPK, der unter anderem die AfD-Chefs angehören – und Neuhoff. Die Presse greift die Forderung nun breit auf. Die BPK legt daraufhin eine rasante Kehrtwende hin und zieht den Begriff in einem Änderungsantrag für Magdeburg selbst zurück: «Redaktionelles Versehen bei der Präambelerstellung ohne Beschlusslage der BPK», heisst es da.
Der Begriff «Auflösung der EU» wird von da an vermieden. Der Sinn aber bleibt vollkommen erhalten: «Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt», heisst es im Programm, das die AfD in Magdeburg am Ende beschliesst. Man strebe stattdessen eine «neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft» an, «in der die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt ist».
Es ist der zentrale Leitgedanke der Neuhoff-Höcke-Resolution. Zwar ist keine Rede mehr von «Grossraum» oder «Universalismus», andere Ideen und zum Teil ganze wortgleiche Passagen werden aus der Riesa-Resolution aber übernommen: etwa die «multipolare Weltordnung» sowie eine zu errichtende «Festung Europas» mit physischen Barrieren und Grenzschutz an Europas Aussengrenzen.
Aussenpolitisch besiegelt die AfD ihre Öffnung zu Russland sogar noch stärker: «Die Beziehungen Deutschlands zur Eurasischen Wirtschaftsunion sollen ausgebaut werden», heisst es ähnlich wie bei Neuhoff und Höcke ein Jahr zuvor. Hinzu kommen nun noch: die Forderung nach sofortiger Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland und die Instandsetzung der Nord-Stream-Pipelines. Waffenlieferungen «in Kriegsgebiete», also auch in die angegriffene Ukraine, werden abgelehnt. Ukrainische Flüchtlinge sollen nicht mehr in Deutschland aufgenommen, sondern «weitergeleitet» werden.
Inhaltlich hat Neuhoff seine Linie damit weitgehend durchgesetzt. Und er triumphiert auch personell: Bei der Wahl der Kandidaten für das EU-Parlament wird er, der immer noch graue, bei vielen unbekannte Professor von der Versammlung in Magdeburg auf Platz 8 als Kandidat für die EU-Wahl gesetzt. Damit ist ihm der Einzug ins EU-Parlament sicher.
Die Kandidatenliste ist im Voraus abgestimmt worden. Neuhoff hat seinen Platz massgeblich den Landeschefs Höcke in Thüringen und Vincentz in NRW zu verdanken. Und Neuhoff sorgt umgehend für einen Gleichgesinnten in seinem künftigen Büro: Er sagt, er habe Erler gleich nach seiner Kandidatur gefragt, ob er in Brüssel sein Assistent werden wolle. Wer dort bei Abgeordneten eingestellt wird, muss keine Sicherheitsprüfung durchlaufen.
Neuhoff hatte seinen Platz Höcke zu verdanken.Bild: keystone
Ob ihn die Gerüchte und Vorbehalte gegen Erler nicht gestört hätten? «Gerüchte, unqualifizierte Vorbehalte und grundlose Verdächtigungen» könnten gegen Berufserfahrung, «erstklassige Zeugnisse» und einen «hervorragenden persönlichen Eindruck» nichts ausrichten, so Neuhoff.
Dass er den Satz geäussert habe, er habe zuverlässige Informationen «aus Geheimdienstkreisen» über den Ukraine-Krieg, dementiert Neuhoff hingegen nicht. «Ich erhalte über einen Mittelsmann regelmässig Informationen aus Kreisen der ukrainischen militärischen Führung», teilt er auf Anfrage mit.
Das könnte Behörden in der Ukraine hellhörig machen: Erst kürzlich musste eine geplante Reise des EU-Verteidigungsausschusses umgeplant werden, weil das Land Neuhoff aus Sicherheitsgründen womöglich die Einreise verweigert hätte, wie die «Welt» berichtete. Die ukrainische Botschaft teilte dazu mit, seine prorussischen Äusserungen seien ihr «selbstverständlich bekannt».
6. In Brüssel, für Russland
Das Duo Neuhoff-Erler hat seit seinem Einzug ins Europaparlament eine exzellente Ausgangslage, um seine Ideen weiterzuverbreiten und sich noch stärker zu vernetzen, zudem Zugriff auf sensible Dokumente: Neuhoff sitzt ab Sommer 2024 als Abgeordneter in Brüssel im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung, stellvertretend auch im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.
Er und Sergej Erler gelten in der Rechtsaussen-Fraktion, der die AfD angehört, als äusserst fleissig – allerdings nur zu den Themen, die sie umtreiben. Auf Neuhoffs YouTube-Kanal sammeln sich die Reden, die er im Parlament hält: «Darum muss die Ukraine kapitulieren!» oder «Nein zur Brüsseler Militärunion!» sind sie betitelt.
Neuhoff (l.) und Erler (M.) in einer Videoschalte mit dem russischen Parlament: Wenig später reisten sie nach Russland.Bild: duma
Anfang Oktober nehmen Neuhoff und Sergej Erler mit anderen EU-Parlamentariern an einer Videoschalte mit Abgeordneten des russischen Parlaments Duma teil. Fotos, die t-online und «Focus» vorliegen, zeigen die beiden in der Konferenz. Das Anliegen der Russen: Die Sanktionen gegen Russland kippen, Gas- und Öllieferungen in die EU wieder fliessen lassen – und so Putins Kriegskasse füllen. Andere Fraktionen im EU-Parlament protestieren vehement gegen den Austausch.
Neuhoff kümmert das nicht. Kurz darauf, Mitte November, reist er mit einer AfD-Delegation zu einer Konferenz nach Sotschi. Organisiert wird sie von kremltreuen Ukrainern um den Oligarchen Viktor Medwedtschuk, die in Europa seit Jahren lobbyieren und auch EU-Abgeordnete bestechen. Der zentrale Strippenzieher ist deswegen in Grossbritannien angeklagt.
An Neuhoffs Seite bei dem Trip erneut: Sergej Erler, sein Assistent. Neuhoff lässt damals eine Frage von t-online dazu unbeantwortet. Andere Mitreisende bestreiten vorab, dass Erler teilnimmt. Doch Erler taucht auf Fotos in Sotschi auf, die t-online und «Focus» ebenfalls vorliegen.
Dmitri Medwedew.Bild: AP Pool Sputnik Government
Stargast auf der Konferenz ist Dmitri Medwedew, Putins Lautsprecher. Die AfD-Spitze hat ihrer Delegation ein Treffen untersagt – es ist eine der roten Linien, die sie zieht. Ob sie gehalten wird, lässt sich nicht überprüfen. Neuhoff sagt, es habe kein Treffen gegeben. Nachweisbar aber pflegt er in Russland andere hochrangige Kontakte: Unter anderem tauscht er sich in engstem Kreis mit Leonid Sluzki aus, dem kremltreuen Chef des Aussenpolitischen Ausschusses der russischen Staatsduma. Mit ihm hat er bereits in der Videoschalte konferiert.
Das alles geschieht wieder in einer für die Programmatik der AfD entscheidenden Zeit. 12 Jahre nach ihrer Gründung will sich die Partei ein neues Grundsatzprogramm geben. Die Arbeiten haben gerade begonnen, bis 2027 soll es fertig sein. Alle bisherigen Positionen sollen auf den Prüfstand: das Verhältnis zur Bundeswehr und Wehrpflicht, zu Russland, den USA und der EU.
Der Professor und sein Assistent werden ohne Frage ihren Anteil daran haben. Neuhoff sitzt in der Bundesprogrammkommission und dem -fachausschuss, den wichtigsten Programmgremien. Sergej Erler ist dank Neuhoffs Fürsprache gerade in den Landesfachausschuss NRW für Aussen- und Verteidigungspolitik aufgenommen worden.